Der folgende Text ist ein Auszug aus „Wette mit der Zukunft gewonnen“. Den vollständigen Artikel sowie weitere spannende
Berichte lesen Sie online in der aktuellen Ausgabe des Magazins workflow – Moderne Arbeitswelten in der Seestadt.
„aspern Die Seestadt Wiens“ hat sich von einer Vision zu einem Stadtteil entwickelt, in dem Dinge Realität
sind, die anderswo noch geträumt oder erst geplant werden. Die Mobilitäts- und Urbanitätsforscherin Katja Schechtner spricht
über mutige und kontroverse Entscheidungen in der Seestadt sowie das Motto „die Seestadt ist weiblich“.Von Ellen BergWas ist Mut? Zum Beispiel, im Jahr 2004 die Vision zu haben, auf einem
aufgelassenen Flugfeld vor den Toren der Stadt einen ganz neuen Stadtteil entstehen zu lassen. In dem die Menschen nicht nur
wohnen und schlafen, sondern auch arbeiten, ihre Freizeit verbringen, ihre Kinder zur Schule schicken. Und dann zu beschließen,
dass dieser Stadtteil auch seinen eigenen See bekommen sollte – zumal man ihn dann gleich Seestadt nennen könnte.
Und
wenn man schon dabei ist, mutige Entscheidungen zu treffen, gleich weiterzudenken. Und in dieser Seestadt ein Mobilitätskonzept
umzusetzen, das nicht nur für Wiener Verhältnisse bahnbrechend ist. Endlich einmal großen weiblichen Persönlichkeiten bei
der Benennung der Straßen den Vortritt zu lassen. Eine Begegnungsstätte zu schaffen, an der acht Religionen friedlich und
im Austausch mit- und nebeneinander leben können. Und sich vor allem bei diesem großen stadtplanerischen Entwurf nicht von
den üblichen Unkenrufen, finanziellen, architektonischen oder logistischen Herausforderungen einschüchtern oder gar abbringen
zu lassen.
Immer wieder neu gedacht. In der Seestadt war dieser Mut vorhanden. Nicht nur, was
die Entscheidungen für zukunftsweisende Projekte betraf, sondern auch hinsichtlich der Bereitschaft, die Dinge neu zu überdenken
und zu verbessern. Eine Herangehensweise, die die internationale Stadtforscherin Katja Schechtner, die in Wien, Paris und
Boston lebt, aber auch Städte wie Tiflis und Manila in Sachen Verkehrsplanung und Stadtentwicklung berät, hervorhebt. „Ich
finde es spannend und mutig, dass es in der Seestadt natürlich einerseits den Masterplan gibt, aber immer wieder Dinge ausprobiert
werden. Trotz des Masterplans hat man sich auch auf kontroverse Projekte und Meinungen eingelassen“, so die österreichische
Mobilitäts- und Urbanitätsforscherin. „Etwa indem man (die dänischen Freiraumplaner, Anm.) Jan Gehl und Helle Soholt dazu
holte, die sich die Stadt aus der Perspektive des Gehenden angeschaut und dann die Strategie für den Freiraum vorgegeben haben.“
Denn es sei wichtig, neben dem Urban Planning, das etwa die Zonen und Straßen einer Stadt oder eines Stadtteils festlegt,
auch dem Urban Design, das die Räume dazwischen mit Leben füllt, entsprechend große Aufmerksamkeit zu zollen.
Das
ist laut Schechtner auch durch das Hinzuziehen von Laura Vahl besonders gut gelungen, die das Konzept für den See und den
Seepark entwickelt hat. „Da hatte man zunächst in der Mitte einen See gebaggert, und dann durfte nach den ersten Plänen eigentlich
niemand hinein, weil das ohne Bademeister nicht denkbar war“, erinnert sich Schechtner. „Und genau dieser Mut ist besonders
in der Seestadt, dass man dann die Dinge hinterfragt, eine Expertin dazu holt und einen neuen Plan macht.“ Improstructure
(aus den englischen Begriffen für Infrastruktur und Improvisieren) nenne man diese Herangehensweise, „eine Art kontinuierliches
Frage-Antwort-System, bei dem auf Herausforderungen immer wieder neu reagiert wird“.
Die Seestadt ist weiblich.
Auch beim Thema Gleichberechtigung ist die Seestadt Vorreiterin. Denn nicht nur wurde Wert darauf gelegt, Stadtplanerinnen
und Architektinnen zu verpflichten, sondern unter dem Motto „Die Seestadt ist weiblich“ auch zahlreiche Straßen, Plätze und
Parks nach großen Frauen zu benennen. Von A wie Ada Lovelace bis Z wie Zaha Hadid reicht die Liste, mit der man ein Zeichen
setzt, nachdem bisher nur ein Bruchteil der Wiener Adressen eine Namenspatronin hat. 58 Straßen, Gebäude, Plätze und Parks
sind inzwischen in der Seestadt nach Frauen benannt und mit der Ausstellung „Frauen Bauen Stadt“ werden ab April weitere Frauen
für ihre Leistungen in der Stadtentwicklung und Architektur vor den Vorhang gebeten. Zu den Organisatorinnen der Ausstellung
gehört auch Schechtner, die sich darauf freut, im Frühjahr jene Frauen zu feiern, die heute unsere Städte bauen – und jene
Pionierinnen, die sich schon im 19. Jahrhundert als Ingenieurinnen und Brückenbauerinnen in doppelter Hinsicht durchsetzen
konnten.
Zur Ausstellung "Frauen Bauen Stadt"Ab
29. April 2021 wird in
aspern Seestadt die Outdoor-Ausstellung „Frauen Bauen Stadt“ zu sehen sein. Dabei
werden mutige architektonische und stadtplanerische Projekte von Frauen vorgestellt, ausgewählt unter anderem von Mitorganisatorin
Katja Schechtner. Im Herbst 2021 findet darüber hinaus in Zusammenarbeit mit der
IBA_WIEN
(Wiener Internationale Bauausstellung 2022) und der
Universität für Angewandte Kunst
Wien das 2. Symposium „Frauen Bauen Stadt“ statt, unter anderem mit Manuelle Gautrand, Jane Hall, Elsa Prochazka, Silja
Tillner.
https://www.frauenbauenstadt.at